Die Berliner Unternehmerin, Speakerin und Autorin Fränzi Kühne hielt beim ersten Wirtschaftsforum Spotlight in Tauberbischofsheim den Keynote-Vortrag. Im exklusiven Interview gibt sie Einblick in ihr Leben.
Von Sabine Holroyd
Tauberbischofsheim. Die Berlinerin setzt sich besonders für die digitale Transformation, Gleichberechtigung und Diversität ein und bekam für ihre aufschlussreiche und spannende Keynote viel Applaus der illustren Gästeschar (wir berichteten). Im Interview mit ihr ging es neben ihren „Lieblingsthemen“ auch um ihre allererste Fahrt nach West-Berlin, um Tiere, die ihr Angst einjagen, und ihr persönliches Notizbuch.
Frau Kühne, die erste Frage für eine Digitalisierungs-Expertin wie Sie habe ich ausnahmsweise mal der Künstlichen Intelligenz überlassen. Sie meinte, ich könnte Sie fragen, wie Unternehmen sicherstellen können, dass ihre Digitalisierungsstrategien auch alle Mitarbeiter mit einbeziehen und nicht nur technologisch, sondern auch menschlich erfolgreich sind.
Fränzi Kühne: Die Menschlichkeit ist der Schlüssel für jegliche Transformation, auch die digitale. Man kann tolle neue Tools einführen und Strukturveränderungen im Unternehmen vornehmen, aber das bringt alles nichts, wenn man die Menschen nicht erreicht und sie nicht mitnimmt.
Was heißt das im Klartext?
Kühne: Man muss den Leuten nicht nur Schulungen und Trainings ermöglichen, sondern ihnen auch erklären, was man vorhat, und ihnen verständlich machen, warum sie sich außerhalb ihrer Komfortzone bewegen müssen. Es ist wichtig, ihnen den Sinn des Ganzen zu vermitteln. Diese interne Kommunikation ist der Schlüssel zum Erfolg.
Möchten Sie noch einen weiteren Vorschlag der KI hören?
Kühne: Ja, ich bin gespannt!
Wie können traditionelle Unternehmen am besten den Wandel hin zu neuen, digitalen Arbeitsmodellen bewältigen?
Kühne: Flexible und individuelle Arbeitsmodelle anzubieten, halte ich für enorm wichtig. Eine junge Zielgruppe erreicht man beispielsweise mit einer fünftägigen Anwesenheitspflicht im Büro eher nicht. Damit grenzt man Menschen aus – dazu gehören auch Mütter, die ihre Kinder nachmittags von der Kita abholen müssen. Wenn man wichtige Meetings nach 16 Uhr ansetzt, schließt man automatisch Leute aus, die zu dieser Zeit etwas anderes zu tun haben. Das heißt, man muss offen und proaktiv individuelle Lösungen offerieren. Ich war sehr beeindruckt, als mir edding anbot, meine Position im Vorstand durch Jobsharing aufzuteilen. Das ist keine Selbstverständlichkeit – vor allem im Mittelstand nicht. Mit solchen neuen Modellen kann man möglicherweise auch dem Fachkräftemangel begegnen. So sehr mich die Marke edding auch begeistert – ich hätte mir jedoch nicht vorstellen können, aus Berlin wegzuziehen oder eine 40-, 60- oder gar 80-Stunden-Woche zu haben, weil ich mir noch Zeit nehmen will für andere Projekte und natürlich meine Familie. Unternehmen sollten heute offen sein für neue Möglichkeiten und unkonventionelle Wege.
Sie wurden 1983 in Ost-Berlin geboren, sechseinhalb Jahre später fiel die Mauer. Wie war das für Sie als Familie, als es die DDR plötzlich nicht mehr gab?
Kühne: Der 9. November ist für uns immer noch ein ganz besonderer Tag. Natürlich weiß man mit sechs oder sieben Jahren nicht, in welchem System man lebt. Bei uns zuhause wurden der Fall der Mauer und die Konsequenzen daraus absolut positiv aufgenommen. Am nächsten Tag sind wir gleich nach West-Berlin gefahren, und ich spürte diese unglaubliche Aufregung und Freude. Dieser Umgang mit Veränderungen hat mich sehr geprägt. Das war schließlich ein kompletter Systemwechsel, die ganzen Grundlagen fielen auf einmal weg. Meine Eltern sind jedoch sehr positiv damit umgegangen, sind im Osten geblieben und haben sich dort selbstständig gemacht.
„Einfach machen“ ist auch Ihr Motto, oder?
Kühne: Bei der Gründung von TLGG wusste ich beispielsweise nicht, was ein GmbH-Konstrukt genau bedeutet. Ich war Mitte 20 und dachte, ich werf’ mich da jetzt einfach mal ‘rein. Es fühlte sich gut an, und ich konnte diesen Weg gemeinsam mit den Menschen, die ich mag, gehen. Wahrscheinlich war da auch viel Naivität im Spiel. Ich habe nicht groß darüber nachgedacht, sondern einfach gemacht.
Dazu gehören aber viel Mut und Selbstvertrauen. Springen Sie denn auch gerne Bungee oder fahren begeistert Achterbahn?
Kühne: (lacht) Nein, überhaupt nicht. In alltäglichen Dingen bin ich nicht die Mutigste. Zum Beispiel habe ich Angst vor Spinnen und finde auch Dunkelheit nicht besonders toll. Ich bin aber kein angstgetriebener Mensch. Mein Partner und ich waren im Sommer mit unseren Kindern vier Wochen mit dem Rucksack in Südamerika unterwegs. Wenn man Südamerika hört, denkt man ja gleich: Um Gottes Willen! Das ist jedoch genau die Art von Reisen, wie ich es mag. Da bin ich völlig angstfrei.
Haben Sie Vorbilder?
Kühne: Ich lese sehr gern biografische Geschichten und höre mir Interviews in Podcasts an. Es interessiert mich, wie Menschen bestimmte Situationen gemeistert haben und welche Tipps sie geben. Jemand Bestimmtes habe ich aber nicht als Vorbild. Am meisten hat mich mein Elternhaus geprägt – zum Beispiel, wie selbstverständlich mein Vater und meine Mutter gleichberechtigt gelebt haben. Diese Selbstverständlichkeit haben sie mir intuitiv mitgegeben. Und im Osten haben Frauen nun mal gearbeitet. So bin ich sozialisiert.
Dort war die Kinderbetreuung auch besser organisiert, oder?
Kühne: Auf jeden Fall. Der Kampf um Kitaplätze ist heute riesengroß. Doch ein Kitaplatz ist genau der Schlüssel, damit Frauen arbeiten können. Mein Partner und ich haben uns ein ausgeklügeltes Betreuungssystem gebaut, das immer wieder auch Arbeit bedeutet. Ich bin gerne organisatorisch unterwegs und mag es strukturiert. Wenn ich so chaotisch wäre wie mein Partner, würde das jedoch alles nicht funktionieren (lacht).
Als Tina Müller Marketing-Chefin von Opel wurde, bestaunte man sie wie das achte Weltwunder. Bei Ihnen war es ähnlich.
Kühne: In meiner Agentur TLGG hatten wir stets Männer und Frauen im selben Anteil in Führungspositionen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Als ich dann in den Aufsichtsrat bei freenet kam, wunderte ich mich über das riesige Medienecho. Ich war die jüngste Aufsichtsratsvorsitzende Deutschlands und erfüllte alle Klischees: weiblich, kein abgeschlossenes Studium, ich sehe anders aus und komme auch noch aus dem Osten. Mir war das überhaupt nicht bewusst, dass es etwas Besonderes ist, mit 34 Jahren in einem Aufsichtsrat zu sitzen. Natürlich stellte es eine schöne Chance für mich dar und es war gut für freenet. Erst dann fing ich an, mich mit dem Thema Frauen in Führungspositionen zu beschäftigen und merkte, dass wir da in Deutschland ein ziemlich großes Problem haben.
Angenommen, Sie würden in Ihrem nächsten Leben als Mann auf die Welt kommen – was würden Sie ändern? Würden Sie denn überhaupt gern mal ein Mann sein – für eine Woche oder so?
Kühne: (lacht) Nein! Ich möchte nicht tauschen und bin super gerne und am liebsten die Fränzi. Natürlich würde ich mich für eine divers aufgestellte, gleichberechtigte Wirtschaft einsetzen. Ich glaube fest daran, dass Diversität ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor ist.
In Ihrem Buch „Was Männer nie gefragt werden“ erwähnen Sie Ihre Notizbücher. Sie sind also doch auch noch „analog“ unterwegs?
Kühne: Ja. Auch wenn ich Romane lese, möchte ich sie in Buchform haben. Ich will das Cover sehen, das Knacken beim Aufklappen hören und die Seiten fühlen. Ich habe auch eine Leselampe. Ich brauche einfach dieses Haptische. Und wenn ich mit der Hand schreibe, kann ich mir Dinge viel besser merken.
Sie haben zwei Töchter. Was möchten Sie ihnen mit auf den Weg geben?
Kühne: Dass sie alles erreichen können. Ich erinnere mich an eine Szene, als meine Tochter vier Jahre alt war. Da stand sie vor dem Spiegel und sagte zu sich selbst: „Ich schaffe alles, was ich will.“ Das war solch ein ergreifender Wow-Moment für mich. Das ist genau das, was ich ihr und ihrer Schwester mitgeben möchte. Ich finde es auch wichtig, dass sie meinen Partner und mich als sicheren Ort in dieser verrückten Welt begreifen, als Kernfamilie. Das haben meine Eltern genauso gemacht. Ich hatte sehr viele Freiheiten mit nur wenigen Grenzen. Aber diese Grenzen waren sehr, sehr klar definiert. Wenn man es schafft, einem Menschen dieses Urvertrauen mitzugeben, dann übersteht er auch schwierige Situationen.
INFO: Zur Person
- Fränzi Kühne ist Mitgründerin und ehemalige Geschäftsführerin der ersten Social-Media Agentur Deutschlands, der TLGG (Torben, Lucie und die gelbe Gefahr) GmbH. Sie ist außerdem Aufsichtsrätin, Speakerin und Autorin.
- Seit 2008 berät sie Führungskräfte, Geschäftsführungen sowie Gründer und Gründerinnen aus Wirtschaft, Verwaltung und Politik zu Digitalisierungsfragen.
- Im Fokus ihrer Arbeit stehen das Zusammenspiel zwischen Menschen, Projekten und Organisationsstrukturen, starke Beziehungen und der Aufbau einer guten Unternehmenskultur.
- Diese Vision einer am Menschen orientierten, technologiebasierten Zukunft treibt Fränzi Kühne auch als Aufsichtsrätin voran.
- Seit 2017 hat sie mehrere Mandate inne, so etwa ehemals bei freenet als jüngste Aufsichtsrätin Deutschlands, der Württembergischen Versicherung und seit Anfang 2022 auch bei der edding AG.
- Hier beschleunigt sie im Tandem-Modell die digitale Transformation des Familienunternehmens.
- Sie zeigt, wie durch neue Arbeitsmodelle auch in traditionellen Konzernen Wandel Teil der sehr greifbaren Lösung sein kann.
- Sie sitzt außerdem im Beirat der Politikberatung „365 Sherpas“ und berät Unternehmen als Teil des Advisory Councils in den Bereichen Digitalisierung, Business Transformation, Leadership und Diversity.
- Fränzi Kühne engagiert sich seit Jahren für mehr Frauen in Führungspositionen und treibt die dafür notwendige Veränderung von Organisations- und Arbeitskultur voran.
- Als Stiftungsrätin der AllBright-Stiftung erarbeitet sie Analysen und Reformvorschläge für mehr Diversität in Unternehmen.
- Sie publiziert regelmäßig Fachbeiträge zu den Themen Digitalisierung, Unternehmertum und Gender.
- 2021 erschien ihr Buch, der „Spiegel“-Bestseller „Was Männer nie gefragt werden – Ich frage trotzdem mal“ im Frankfurter S. Fischer Verlag.
- Weitere Informationen gibt es auf ihrer Homepage www.fraenzi.de
- Bei Instagram ist sie als effibiest vertreten.