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Monetäre Abhängigkeit kann böse Folgen haben

März 7, 2025 | Allgemein

Dr. Birgit Happel ist Bankkauffrau, hat in Frankfurt und Singapur Soziologie studiert und zum Umgang mit Geld promoviert. Im Vorstand des Präventionsnetzwerks Finanzkompetenz engagiert sie sich für die Stärkung und Professionalisierung der finanziellen Bildung, soziale Gerechtigkeit und die Prävention von Frauenarmut. © Jürgen Lecher
„Equal Pay Day“: Für Dr. Birgit Happel ist finanzielle Gleichberechtigung die Basis für echte Gleichstellung.

Von Heike von Brandenstein

Odenwald-Tauber. Dr. Birgit Happel engagiert sich seit Jahren für die weltweite Bildungskampagne für nachhaltige Entwicklung (BNE) der Vereinten Nationen. Sie ist Akteurin der Deutschen Unesco-Kommission und Mitglied von UN Women Deutschland und setzt sich für die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen ein. Die FN führten mit ihr ein Gespräch zum Equal Pay Day, in dem sie über die Mehrfachbelastungen von Frauen und die strukturelle Diskriminierung von Müttern spricht.

Bis zum heutigen Tag, dem Equal Pay Day, haben erwerbstätige Frauen unbezahlt gearbeitet. Sie setzen sich für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen im Erwerbsleben ein. Warum ist das so wichtig?

Dr. Birgit Happel: Frauenrechte sind Menschenrechte. Im Bereich der finanziellen Gleichstellung hinken wir in Deutschland, vor allem in Westdeutschland, anderen Ländern weit hinterher. Im Zuge von Familiengründungen droht vielen Frauen, die eigene finanzielle Unabhängigkeit aus dem Blick zu verlieren. Wenn sie ein Kind bekommen, rutschen sie oft unbeabsichtigt in eine eher traditionelle Rollenverteilung. Mit Mini- und Teilzeitjobs bleibt ihre soziale Absicherung und wirtschaftliche Teilhabe eingeschränkt.

Sie haben ein Buch mit dem Titel „Auf Kosten der Mütter“ geschrieben, in dem Sie eine strukturelle Diskriminierung von Frauen mit Kindern beklagen. Woran machen Sie diese fest?

Happel: Kindererziehung und Pflege werden meist informell und unbezahlt innerhalb der Familie geleistet – anstatt als gesamtgesellschaftliche Verantwortung anerkannt zu werden. Die strukturelle Diskriminierung von Müttern zeigt sich in vielen Bereichen: von eingeschränkten Karrierechancen aufgrund der Arbeitsmarktdiskriminierung von Fürsorgeleistenden, über die ungleiche Verteilung der Sorgearbeit in Familien bis hin zur veralteten Steuergesetzgebung. Mütter arbeiten weitaus häufiger in Teilzeit als Väter und übernehmen den Großteil der unbezahlten Care-Arbeit. Sie tragen dadurch ein höheres Armutsrisiko, vor allem im Alter.

Ihre Herangehensweise verbindet Finanzbildung mit politischer Bildung unter Einbeziehung biografischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge. Was verbirgt sich dahinter? Können Sie ein ganz praktisches Beispiel oder auch zwei konträre nennen?

Happel: Wenn Bildung auf fruchtbaren Boden fallen soll, müssen Menschen einen Bezug zu ihrer eigenen Lebenswelt entdecken. Ich komme aus der Biografieforschung und beziehe meine Forschungsergebnisse zum Umgang mit Geld in die Berufspraxis ein. Wir schauen uns individuelle Biografien an, die immer im gesellschaftlichen Kontext eingebettet sind und können so biografische Muster herausarbeiten. Die Erwerbs-, Care- und Finanzbiografien von Frauen sind untrennbar miteinander verknüpft. Das gilt es, in Bildungsangeboten einzubeziehen. Konträre Beispiele ergeben sich, wenn strukturelle Probleme individualisiert, also auf den Schultern der Frauen abgeladen werden. Dann heißt es zum Beispiel, die Frauen müssen eben besser verhandeln und ihre Altersvorsorge im Griff haben, ohne die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.

Sie sprechen von Fehlanreizen im deutschen Steuer- und Transfersystem für Frauen und vor allem für Mütter. Was meinen Sie konkret?

Happel: Die Steuerklassenkombination 3/5 setzt erwiesenermaßen einen negativen Erwerbsanreiz für die Person in der Steuerklasse 5, in den meisten Fällen ist das nach wie vor die Frau. Das wurde in verschiedenen Untersuchungen belegt. Die psychologischen Kosten und Folgen dieser Steuerklassenwahl sind vielen nicht bewusst. Es macht einfach keinen Spaß, die Gehaltsabrechnung anzuschauen, wenn vor lauter Steuerabzügen nichts übrig bleibt. Die Person in der Steuerklasse 5 gibt ja ihren Steuerfreibetrag an die Person in der Steuerklasse 3 ab, die sowieso schon mehr verdient. Kommen dann noch Kinderbetreuungskosten und die Einschränkungen der Care-Krise, wie verkürzte Öffnungszeiten dazu, liegt der Schluss nahe, zu denken, es lohnt sich für mich nicht, zu arbeiten.

In Deutschland haben Frauen bessere Abschlussnoten als Männer und starten erfolgreich in den Beruf. Bekommen sie Kinder, tappen sie häufig in die Falle: fehlende Kinderbetreuung, Teilzeit, keine Chance auf Aufstockung, wenn die Kinder älter sind. Außerdem tragen Frauen meist die Hauptlast der Haus- und Sorgearbeit. Warum ist das immer noch so?

Happel: Junge Paare wünschen sich eigentlich eine faire Verteilung der Carearbeit. Aber wenn das erste Kind kommt, schauen sie oft nur in der kurzen Sicht auf das Familieneinkommen. Bei sehr hohen Mieten und Lebenshaltungskosten ist das zwar rational, aber man darf die langfristigen Folgen der Erwerbsunterbrechungen nicht aus dem Auge verlieren, die werden unterschätzt. Hinzu kommen veraltete Rollenbilder und auch gesellschaftliche Normen und Erwartungen. Die Hauptverantwortung für die Kindererziehung wird immer noch den Müttern zugeschoben. Finanzielle Gleichberechtigung ist die Basis für echte Gleichstellung. Dafür brauchen Frauen Zeit, um ihre Erwerbsbiografien auch mit Kindern weiterverfolgen zu können.

Es gibt den auch auf TikTok oder Instagram gehypten Trend der „Tradwives“, die sich einem extrem konservativen Frauenbild verschrieben haben, sich mit Leib und Seele für Kinder und Haushalt engagieren und sich für ihren Ehemann tagtäglich aufbrezeln. Das Heimchen am Herd der 50er Jahre. Was halten Sie davon?

Happel: Ich sehe darin eine Gegenbewegung zu überforderten Familien, Mütter-Burnout und gesellschaftlicher Unsicherheit. Ein überholtes Rollenbild wird romantisiert. Sich in das häusliche Umfeld zurückzuziehen, schafft Sicherheit in der eigenen kleinen heilen Welt. Dabei werden die hohen existenziellen Risiken finanzieller Abhängigkeit ausgeblendet. Wer sich bewusst für eine klassische Rollenverteilung entscheidet, sollte sich über langfristige Folgen im Klaren sein – vor allem in Bezug auf die eigene wirtschaftliche Eigenständigkeit, berufliche Chancen und Altersvorsorge. Problematisch finde ich es, wenn dieses Modell als natürlicher oder moralisch überlegener Lebensweg propagiert wird.

Gerade in einer wirtschaftlichen Rezession gepaart mit einer politisch fragilen Lage schrumpft die Zukunftszuversicht. Wie wirkt sich diese Stimmung auf Frauen aus?

Happel: Es sind keine einfachen Zeiten für die Gleichstellung. Mit dem Erstarken rechter Parteien nehmen antifeministische Strömungen zu. Generell treffen wirtschaftliche Krisen und politische Unsicherheiten Frauen härter, da sie häufiger in prekären Beschäftigungsverhältnissen und Minijobs arbeiten und die unbezahlte Sorgearbeit in der Sozialversicherung nicht ausreichend abgesichert ist. Finanzielle Ängste, insbesondere in Bezug auf Altersvorsorge und wirtschaftliche Unabhängigkeit, werden verstärkt. Auf der anderen Seite ist das Frauenbild in Deutschland viel moderner geworden. Frauen sind seit vielen Jahren Bildungsgewinnerinnen und wollen endlich ihren gerechten Anteil am Kuchen. Dafür muss die Infrastruktur für Kinderbetreuung bereitstehen, müssen Arbeitgeber die Vereinbarkeit erleichtern und Väter ihren Anteil an der unbezahlten Arbeit übernehmen.

Bis zum 7. Juni 2026 muss die EU Entgelttransparenzrichtlinie in nationales Recht umgesetzt sein. Durch sie sollen die Lohndiskriminierung bekämpft und das geschlechtsspezifische Lohngefälle in der Europäischen Union abgebaut werden. Bringt eine solche Regelung überhaupt etwas oder muss sich zuallererst etwas in den Köpfen der Menschen ändern?

Happel: Doch, die Richtlinie ist ein weiterer Schritt, um Lohndiskriminierung zu bekämpfen und Ungleichheiten abzubauen. Transparenz erhöht den Druck auf Unternehmen, faire Löhne zu zahlen und stärkt die Verhandlungsposition von Beschäftigten. Es werden Informations- und Berichtspflichten für Unternehmen kommen und Schadenersatzansprüche verankert. Auch wenn sich stereotypische Rollenbilder nur langsam ändern, ist der gesellschaftliche Wandel nicht aufzuhalten.

Zur Person
  • Dr. Birgit Happel, Jahrgang 1970, ist Inhaberin von „Geldbiografien“.
  • Mit ihrem Portal stellt sie finanzielle Bildung und finanzielle Gleichstellung in einen gesellschaftlichen und biografischen Kontext.
  • Seit mehr als zehn Jahren setzt sie als Referentin und Speakerin in Vorträgen, Workshops und auf Panels Impulse für soziale Innovation und finanzielle Eigenverantwortung. Zugleich sensibilisiert sie für strukturelle Rahmenbedingungen.
  • Als Sozialwissenschaftlerin, Beraterin, Trainerin und Coach beschäftigt sie sich mit Chancengleichheit, Verbraucherpolitik und Finanzpsychologie.
  • Sie arbeitet bundesweit mit Ministerien, Bildungsinstitutionen, Unternehmen, Behörden und Organisationen zusammen.
  • Am Dienstag, 11. März, veranstaltet die Arbeitsagentur Schwäbisch Hall-Tauberbischofsheim von 9 bis 10.30 Uhr einen Online-Vortrag. Anmeldungen sind bis Sonntag, 9. März, unter https://eveeno.com/FrauenFinanzenFreiheit möglich.

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