Wie der Assamstadter Roman Stauch und sein Geschäftspartner Peter Strating zahlreiche Amputationen künftig verhindern wollen.
Von Klaus T. Mende
Assamstadt. Etwa 9,3 Millionen Menschen leben hierzulande derzeit mit der Diagnose Diabetes mellitus. Jedes Jahr sehen sich etwa 600 000 Personen damit neu konfrontiert – Tendenz steigend. Gefürchtet ist bei dieser Volkskrankheit die Entwicklung von Folgeschäden – etwa in Form von Herz- und Gefäßerkrankungen oder Nervenschäden, die nicht selten zu schlecht heilenden Wunden an den Füßen führen. Daher gehen in Deutschland jährlich 80 Prozent der rund 60.000 Amputationen auf das Konto des Diabetes. Wie gut, dass es innovative Unternehmer wie Roman Stauch aus Assamstadt gibt, der es sich mit seinem niederländischen Geschäftspartner Peter Strating auf die Fahnen geschrieben hat, den oft schwerwiegenden Folgen den Kampf anzusagen.
Bestreben des Experten mit seinem Start-up-Unternehmen Cybion ist es nämlich, für besonders schwere Fälle, denen mitunter sogar die Amputation des Fußes oder des Oberschenkels droht, Mittel und Wege aufzuzeigen, den Verlust dieses Körperteils zu vermeiden und unterm Strich den Patienten wieder Teilhabe am öffentlichen Leben zu ermöglichen. Lösung: TTT – Transverse-Tibia-Transport-Behandlung – ein völlig neuartiges Behandlungskonzept zur Vermeidung von Amputationen bei schweren Verläufen von diabetischen Fußerkrankungen durch die Bildung von neuen Blutgefäßen und damit Wiederherstellung einer ausreichenden Durchblutung.
Körper produziert Stammzellen und Wachstumsfaktoren
Was auf den ersten Blick etwas schwer verständlich ist, klingt auf den zweiten logisch. „Hierbei wird ein kleines Stück Knochen aus dem Unterschenkel herausgetrennt und mit Unterstützung einer externen Bewegungsvorrichtung, dem Fixateur, langsam seitlich aus dem Unterschenkelknochen wegbewegt“, erklärt Strauch, der als Diplom-Ingenieur Fachrichtung Maschinenbau 1994 bei Wittenstein SE beruflich durchgestartet ist und im Bereich Medizintechnik in den folgenden Dekaden Erfahrungen gesammelt sowie Erfolge errungen hat. Bei der TTT-Behandlung produziere der Körper als Reaktion auf den Eingriff am Knochengerüst eigene Stammzellen und verschiedene Wachstumsfaktoren – mit lokaler und ganzheitlicher Wirkung. Darüber hinaus werde das selbstregenerative Potenzial von lebendem Gewebe unterstützt.
Das mitunter erfreuliche Resultat trete, so der Spezialist, bereits nach wenigen Wochen ein: „In Folge der Behandlung bilden sich im betroffenen Körperteil – und darüber hinaus – neue Blutgefäße zur besseren Durchblutung, weshalb in den meisten Fällen auf eine Amputation des Fußes verzichtet werden kann.“
Bislang seien bereits rund 30 Patienten erfolgreich therapiert worden – so auch in Deutschland. „Namhafte Mediziner in mehreren Ländern Europas, etwa in Italien, aber auch in Australien und in den USA, sind von der Methode begeistert und hoffen, dass sie bald flächendeckend zum Einsatz kommt“, so Roman Stauch im Gespräch mit dem FN-Reporter. Dies wäre der Durchbruch und könnte später auch auf andere Indikationen ausgeweitet werden, bei denen das Gewebe nicht mehr ausreichend durchblutet wird – etwa bei einem Raucherbein. „Hierbei sind bereits ermutigende Effekte bekannt: Patienten, die innerhalb kürzester Zeit keine Schmerzen mehr hatten, wieder größere Strecken laufen können, oder solche mit chronischen Wunden, die wieder abheilten, was lange nicht der Fall war.“
Knochen wird um bis zu 1,5 Zentimeter transportiert
Die Prozedur nehme etwa sechs Wochen in Anspruch, führt der Assamstadter aus. In diesem Zeitraum werde das Knochenstück um bis zu 1,5 Zentimeter seitlich herausbewegt und danach wieder in die Ausgangsposition im Knochen zurückbewegt, ehe der zuvor minimalinvasiv angebrachte Fixateur entfernt werden könne. „Die sechs Wochen sind auszuhalten verglichen mit dem, dass die Patienten im schlimmsten Fall nach einer Oberschenkelamputation im Rollstuhl sitzen, sozial isoliert sind, die Lebensqualität deshalb stark eingeschränkt ist und sie bisweilen depressiv werden.“ Oder wie es Stauch auf einen Nenner bringt: „Mit einem geringen Aufwand ist ein großer Zugewinn an Lebensqualität und Mobilität zu erreichen.“
Diese neue Methode, in die viele schwer an Diabetes Erkrankte große Hoffnung setzen, gibt es seit 2019 und wurde vor allem in China in bisher mehr als 3000 Fällen mit beeindruckenden Behandlungserfolgen eingesetzt. Doch bis sie hierzulande richtig „salonfähig“ wird, dürfte noch Zeit ins Land gehen. „In Deutschland gibt es die Fallpauschalen zur Abrechnung bei den Krankenkassen. Unser System ist darin noch nicht gelistet, weil es absolut neu ist“, erklärt Roman Stauch.
Start-Up „Cybion“ in Assamstadt: „Sehen großes Potenzial in diesem Behandlungsverfahren“
Zunächst müsse von Klinikseite ein gesonderter Antrag gestellt werden – und wenn dieser von einer Kommission für gut befunden werde, dürfe das Hospital abrechnen. „Bis es zur generellen Aufnahme in den Fallpauschalen-Katalog kommt, kann es noch bis zu drei Jahre dauern.“ Prinzipiell müsste das Ganze für die Kostenträger interessant sein, doch das große Problem sei gegenwärtig, dass es allerorten die Gelder knapp seien.
Das Start-up Cybion mit Hauptsitz in Assamstadt gibt es seit 15. September 2021. „Ich agiere von hier aus, mein Partner Peter Strating sitzt in Barcelona“, führt Stauch weiter aus. „Wir sind derzeit viel unterwegs bei Kunden, OP-Begleitungen, auf Messen und Kongressen.“ Sein Unternehmen habe sich zwischenzeitlich die Vertriebsrechte für ganz Europa, den Mittleren Osten, Australien und die USA gesichert, „weil wir das große Potenzial sehen, das in diesem Behandlungsverfahren steckt und wir zahlreiche Rückmeldungen von Medizinern bekommen, die erkannt haben, welche Chancen diese Methode bietet“.
Roman Strauch: Neues Verfahren rasch viel bekannter machen
Bestreben sei es nun, dieses Verfahren, das seinen Ursprung in Russland habe, einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, um so auf die Kostenträger den entsprechenden Druck auszuüben. „Inzwischen gibt es genügend Fälle, welche die hohe Wirksamkeit dieser Behandlung unterstreichen. Wir können dies anhand von eigenen Fällen beweisen – und auch die Studienlage ist in der Zwischenzeit so, dass wir das Ganze belegen können“, sieht Roman Stauch jenen Weg geebnet, an dessen Ende es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, diese Methode bei schweren Wundheilungsstörungen zum Einsatz zu bringen.
Mittlerweile sei in Europa ein Vertriebsnetz aufgebaut worden, in das Stauch und Strating ihre umfangreichen Erfahrungen und Kontakte einfließen lassen, die sie in ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn gesammelt haben. Selbstredend, dass die Netzwerker auch mit namhaften Medizinern in engem Austausch stehen – wie etwa dem italienischen Diabetischen Fußchirurgen Professor Dr. Enrico Brocco oder Dr. Peter Thaller, Orthopäde und Unfallchirurg an der LMU München, der bereits großes Interesse signalisiert habe, rasch hierbei in Deutschland voranzukommen.
„Das Thema ist hochspannend und wir haben einen Vorsprung auf diesem Gebiet. Es gibt die ersten belegbaren Erfolge und wir haben internationale Mediziner, die wissen, dass es funktioniert“, meint der Diplom-Ingenieur. Jede Innovation sei zunächst einmal eine Herausforderung. Doch jetzt seien beste Voraussetzungen geschaffen – und dies vermittle „ein sehr gutes Gefühl“.
Innovative Experten haben eine Vision
„Unsere Vision ist, die Behandlung schwerer diabetischer Fußgeschwüre mit lebensverändernden medizinischen Lösungen zu revolutionieren“, sagt Roman Stauch. Mit dieser Innovation sei nicht nur ein guter Anfang gemacht, nein, der eingeschlagene Weg sei sehr erfolgversprechend – und gebe Diabetikern eine völlig neue Perspektive.
Diabetes-Patient: „Neue Behandlungsmethode war mein Fußretter“
Dem Nürnberger Hans Meyer droht die Amputation des Vorderfußes – bis er auf die Innovation aus Assamstadt stößt. Dank eines sogenannten Fixateurs konnte sein Fuß gerettet werden. Der Eingriff ist minimal-invasiv.
Von Klaus T. Mende
Assamstadt/Nürnberg. Innovative Ideen in der Medizin bieten schwer erkrankten Menschen bisweilen völlig neue Perspektiven und Chancen, ihre Leiden zu lindern oder über kurz oder lang sogar mehr Lebensqualität zu erfahren.
Neue Blutgefäße zur besseren Durchblutung bilden sich
Experten auf dem Gebiet der Diabetes setzen auf die Möglichkeit, mit Unterstützung eines Fixateurs ein Knochenstück aus dem Unterschenkel relativ zu verschieben. Der hierdurch ausgelöste biologische Effekt sorgt für eine Neubildung von Blutgefäßen, die für eine bessere Durchblutung sorgen und damit eine Wundheilung in Gang setzen.
Der Fixateur wird mittels minimalinvasivem Eingriff in den Knochen eingebracht – und verbleibt dort für mehrere Wochen. © Grafik Stauch
Mehr als 30 solcher Eingriffe sind in letzter Zeit bereits mit Erfolg durchgeführt worden – unter anderem auch in Nürnberg. Darauf lasse sich aufbauen auf dem Weg hin zu einer festen und dauerhaften Verankerung dieser Alternativen im bundesdeutschen Gesundheitswesen.
„In dieser Zeit war mein Lebensmut sehr weit gesunken“
Hans Meyer kommt aus dem Großraum Nürnberg – und ist bereits seit vielen Jahren schwer an Diabetes erkrankt. „Die Durchblutung an den Füßen war trotz Bypassversorgung so schlecht, dass der Vorderfuß amputiert werden sollte“, erklärt der Mittelfranke im Gespräch mit den Fränkischen Nachrichten. „In dieser Zeit war mein Lebensmut sehr weit gesunken“ – dies war im Spätsommer des letzten Jahres.
Doch dann habe seine Familie von jener Möglichkeit erfahren, die der Fixateur eventuell biete – gewissermaßen so etwas wie der letzte Strohhalm, nach dem man in solch einer schweren Situation sehr gerne greife, wie Meyer betont. Und so habe man den Kontakt zu Roman Stauch in Assamstadt gesucht, um die Chancen auszuloten, ob es denn einen Ausweg gebe.
Nach einem minimal invasiven Eingriff in einer Klinik habe sich der Ist-Zustand deutlich zum Positiven gewandelt, sagt Hans Meyer weiter gegenüber unserer Zeitung. „Ich bezeichne den Einsatz des Fixateurs als meinen Fußretter“, zeigt er sich jetzt im Nachhinein überzeugt. „Das Tragen und Bedienen war für mich kein Problem.“
Und wenn man die Aussicht habe, danach wieder sorgenfreier leben zu können, stelle man sich solch einem Prozedere natürlich sehr gerne.
„Die Wunden weisen bereits eine gute Heilung auf“
„Mir geht’s in der Zwischenzeit wieder richtig gut, da die Wunden bereits eine gute Heilung aufweisen“, ist die Freude bei Hans Meyer förmlich zu spüren. „Laut den Ärzten bin ich mittlerweile auf einem sehr guten Weg. Sie sind mit dem Verlauf sehr zufrieden.“ Sein Beispiel gibt anderen Betroffenen große Hoffnung.
Diabetes-Folgeschäden vermeiden: Neues Verfahren „vielversprechend“
Der ärztliche Direktor des Diabetes-Zentrums Bad Mergentheim, Prof. Dr. Thomas Haak, kennt die neue Behandlungsmethode, mit der Amputationen vermieden werden sollen. Wie er zum „Transversen Tibia Transport“ (TTT) steht.
Von Klaus T. Mende
Bad Mergentheim. „Der Verlust eines wichtigen Körperteils wie Fuß oder Unterschenkel ist eine drastische Einschränkung der Lebensqualität eines Menschen. Leider passiert dies in Deutschland noch viel zu oft, denn 80 Prozent der 60.000 Amputationen in Deutschland gehen auf das Konto eines diabetesbedingten Folgeschadens. Daher versuchen wir Diabetologen, diesem rechtzeitig durch eine gute Therapie vorzubeugen und Durchblutungsstörungen bereits im Anfangsstadium zu erkennen und zu behandeln. Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen bei Diabetes helfen, in vielen Fällen solche Komplikationen ganz zu vermeiden“, sagt Professor Dr. Thomas Haak, Ärztlicher Direktor des Diabetes-Zentrums in Bad Mergentheim.
Professor Dr. Thomas Haak hält das relativ neue Verfahren, mit dem Amputationen aufgrund einer Diabetes-Erkrankung künftig vermieden werden sollen, für vielversprechend. © Diabetes-Zentrum
Amputationen bei Diabetes: Zu enge Schuhe eine der Hauptursachen
Die meisten Amputationen bei Diabetes gingen auf das Konto eines diabetischen Nervenschadens. Durch das fehlende Verspüren von Verletzungen, hervorgerufen etwa durch zu enge Schuhe, entstünden Infektionen der Füße, die oft zu spät bemerkt würden. „Dann zerstören diese bakteriellen Infektionen oft rasch das Gewebe und die befallenen Knochen, so dass die zerstörten Anteile durch eine Amputation entfernt werden müssen“, so der Fachmann. Natürlich versuche man hier, so wenig wie möglich zu entfernen, um eine ausreichende Mobilität weiterhin sicherzustellen.
Ernsthaftes Problem seien in manchen Fällen jedoch die Durchblutungsstörungen in den großen und kleinen Arterien. „Wenn es nicht gelingt, sie durch Aufdehnen der verengten Gefäße oder durch eine Bypass-Operation zu beseitigen, gibt es kaum Möglichkeiten, mit anderen Verfahren wie einer medikamentösen Therapie weiterzuhelfen“, mach Haak deutlich. In diesen Fällen stehe man mit dem Rücken an der Wand.
Die Idee hinter dem neuen Verfahren des Transversen Tibia Transportes (TTT) sei, dass sich durch diese operativen Manipulationen am langen Unterschenkelknochen „Selbstheilungskräfte“ des Körpers aktivierten und sich durch vielerlei Prozesse neue Blutgefäße bildeten, „die dann die bisher ausbleibende Wundheilung ermöglichen“.
Die Idee hierzu sei nicht neu, jedoch hätten die Ingenieure aus Assamstadt und Barcelona das Verfahren perfektioniert und einem klinischen Routineverfahren zugänglich gemacht. „Um mit einem solchen vielversprechenden Verfahren voranzukommen, bräuchte es weitere wissenschaftliche Studien, die dessen Erfolg untermauern. Wichtig ist auch, dass mit wissenschaftlichen Erkenntnissen herausgearbeitet wird, welche Patienten genau davon wirklich profitieren. Das Problem an solchen Studien zu Fußwunden ist aber, dass sich Wunden nicht standardisieren lassen, weil jede irgendwie anders ist. Somit sind kontrollierte Studien schwierig. Das kennen wir bereits aus vorangegangenen Verfahren zur Verbesserung der Wundheilung“, so der Experte.
Ärzte sollten das neue Verfahren des Transversen Tibia Transportes (TTT) erlernen und anbieten
Dies erkläre auch, warum die Kostenverantwortlichen im Gesundheitswesen zurückhaltend seien, bevor eine Erstattung zulasten der Krankenkassen für alle Versicherten möglich werde. „So bleibt zu hoffen, dass es gelingt, zeitnah auf andere Weise weitere positive Erfahrungen mit dem TTT zu machen und damit Ärzte ermutigt werden, das neue Verfahren zu erlernen und anzubieten. Ich wünsche den Ingenieuren aus Assamstadt viel Glück bei der weiteren Entwicklung des Verfahrens.“