Bei Strabag Rail in Lauda geht man bei der Gewinnung von Mitarbeitenden aus Drittstaaten ganz neue Wege. Seit mehr als einem Jahr arbeitet ein Statiker aus Turkmenistan im Konzern.
Von Diana Seufert
Lauda-Königshofen. Hochkonzentriert sitzt Ahmed Lokkayev an seinem Schreibtisch. Auf den beiden Bildschirmen vor ihm sind Zeichnungen zu sehen, an der Wand hängen großformatige Pläne. Anspruchsvolle statische Berechnungen für Bahnsteige und Durchlässe müssen erstellt und dem Bauherrn zur Prüfung vorgelegt werden. Der 34-Jährige ist seit Juni 2023 bei Strabag Rail in Lauda als Statiker beschäftigt. Das Besondere: Ahmed Lokkayev kommt aus Turkmenistan. An der Tauber fühlt er sich sichtlich wohl.
Strabag nutzt viele Wege, um neue Mitarbeitende zu gewinnen. Die Rubrik „Karriere“ auf der Internetseite des Unternehmens ist für viele Spezialisten aus dem Ausland der erste Berührungspunkt mit einem Jobangebot in dem Konzern. Danach folgen virtuelle Vorstellungsgespräche und wenn möglich auch ein Besuch vor Ort. Können dann die Vorstellungen von Bewerber und Unternehmen in Einklang gebracht werden, wird der umfangreiche Prozess zur Einstellung eines Bewerbers oder einer Bewerberin aus einem Drittstaat angestoßen.
Dem Bahnbauunternehmen Strabag Rail in Lauda fehlen die Mitarbeiter, deshalb setzt man auf das Recruiting im Ausland. © Henning Kreft/Strabag Rail
Vor 15 Monaten holte Personalreferent Benjamin Michel den neuen Mitarbeiter am Flughafen in Frankfurt ab. Damals hatte dieser bereits gute Deutsch-Kenntnisse, die sich im letzten Jahr weiter verbessert haben. „Ich bin ein pfiffiges Kerlchen“, scherzt Lokkayev. Diese Redewendung hat ihm eine Kollegin beigebracht – und sie trifft auf den Turkmenen zu.
Wieso hat er seine Heimat am Kaspischen Meer verlassen? Ahmed Lokkayev betont, dass er nicht aus einem Kriegsland stammt. Sein Masterstudium hatte er in der Ukraine erfolgreich abgeschlossen, in Turkmenistan habe er in einem Büro gearbeitet und sei für zehn Mitarbeitende verantwortlich gewesen. „Ich habe für mich eine neue Herausforderung gesucht und wollte mich als Bauingenieur weiterentwickeln.“
Dafür war er bereit, seine „Komfortzone zu verlassen“. Dass er sich in Deutschland in einer neuen Kultur zurechtfinden und die deutsche Sprache mit anderen Schriftzeichen intensiv lernen muss, war für ihn mehr Ansporn als Abschreckung.
Deutsche Bahn unterstützt beim Recruting
Der Fachkräftemangel im Bahnbau ist für die gesamte Branche eine Herausforderung. Auch die Deutsche Bahn hat deshalb gemeinsam mit den Bauindustrieverbänden beschlossen, ihr Knowhow im Cross-Border Recruiting als Dienstleister zur Verfügung zu stellen, um die eher mittelständisch geprägten Bahnbauunternehmen bei der Gewinnung von Fachkräften aus Drittstaaten zu unterstützen.
„Nachdem wir sehr euphorisch mit der DB in das Programm gestartet sind, wurden uns nicht zuletzt auch durch die Coronapandemie und die komplizierten Prozesse in den verschiedenen Ländern die Grenzen aufgezeigt“, berichtet Stefan Unden, kaufmännischer Bereichsleiter bei Strabag Rail. Von zunächst 20 Bewerbern sind aus diesem Programm nur drei Mitarbeiter bei Strabag Rail in Lauda angekommen: Ein Gleisbauer aus Serbien und zwei Bauingenieure aus der Türkei.
Hoher Aufwand für die ausländischen Mitarbeiter
Der Aufwand, der vom Unternehmen im Laudaer i-Park für die Gewinnung ausländischer Mitarbeitenden betrieben wird, ist hoch. Nach mehreren Video-Calls mit den Bewerbern, meist mit Dolmetschern und noch vor einer Einreise nach Deutschland, muss der Arbeitsvertrag ins Heimatland geschickt werden. Damit und mit vielen weiteren Unterlagen war zum Beispiel Ahmed Lokkayev in der Deutschen Botschaft in Asgabat, wo das Visum zur Einreise nach Deutschland erteilt wurde. „Das dauerte einige Monate“, berichtet er.
In Deutschland kommen dann weitere Termine bei Behörden und anderen Institutionen hinzu. „Ob Ausländerbehörde, Amt für öffentliche Ordnung, Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrecht, Stadtverwaltung, Bank und Finanzamt – wir haben unseren neuen Mitarbeiter immer unterstützt“, erklärt Benjamin Michel, Personalreferent bei Strabag Rail. Selbst die Suche nach einer geeigneten Wohnung und der Aufbau der Möbel wurden im Teamwork erledigt.
Das Unternehmen wird durch den Fachkräftemangel zu solch ungewöhnlichen Schritten gezwungen. Von den Programmen der Bundesregierung ist man enttäuscht. Auch das Cross Border Recruiting Projekt der Deutschen Bahn blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Offene Stellen im gewerblichen Bereich sind aktuell nur schwer mit geeignetem Personal zu besetzen. „Wir müssen versuchen, die Kräfte über andere Kanäle zu rekrutieren.“
Bei Strabag Rail hofft man, dass vor allem die hier arbeitenden Mitarbeiter aus Drittstaaten weitere Kollegen nachholen. „Das muss aber nachhaltig sein, wir wollen andere Länder nicht aussaugen.“ Eine Vereinfachung der bürokratischen Hürden würden die Verantwortlichen begrüßen. Sie plädieren für weniger politische Regulierung und mehr Vertrauen in die Firmen.
„Wir wissen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Ausland am Anfang viel Hilfe benötigen. Aber durch gute Leistungen bekommen wir dies wieder zurück“, erklärt Michel. Seit Mai hat das Unternehmen für die neu hinzugekommenen ausländischen Mitarbeiter eine Sprachtrainerin angestellt. Ahmed Lokkayev findet das für die Integration der Neuen sehr sinnvoll.
„Integration muss von einem selbst ausgehen“
In seiner Heimat Turkmenistan hat Ahmed Lokkayev im Hochbau gearbeitet, nun ist er im Bahnbau aktiv. Europäische Normen und hiesige Baustandards musste er dabei erst lernen. Das neue Computerprogramm war dagegen das kleinste Problem.
In einem Statik-Büro in Sachsen-Anhalt, mit dem Strabag Rail seit langer Zeit zusammenarbeitet, hat er ein mehrwöchiges Praktikum absolviert. „Ich habe dort vieles gelernt und kann immer nachfragen“, ist er dankbar für die Unterstützung. Denn die Statik-Aufträge, die bisher an externe Büros vergeben wurden, landen nun auf seinem Schreibtisch. „Dass ich mich einmal mit Bahnsteigen und Eisenbahninfrastruktur beschäftigen werde, hätte ich nicht gedacht“, sagt er lächelnd.
Für Ahmed Lokkayev hat sich der Schritt nach Deutschland gelohnt. Und er weiß, dass er im Strabag Konzern Aufstiegsmöglichkeiten hat und sich in Deutschland eine gesicherte Existenz aufbauen kann. Seine Frau ist kurz nach ihm gekommen und lernt fleißig deutsch, um in Lauda Fuß zu fassen. Sie hat in Russland Psychologie studiert und möchte ebenfalls in ihrem Beruf arbeiten. Die beiden fühlen sich integriert. „Unsere Nachbarn kommen zufällig auch aus Turkmenistan, das hat uns vor allem bei den ersten Herausforderungen des deutschen Alltags geholfen.“ Sie wissen: „Integration muss in erster Linie von einem selbst ausgehen, daran muss man arbeiten. Und die Sprache ist eine Schlüsselkomponente.“
Wegen des Geldes sei er nicht gekommen, sagt der Turkmene. In seiner Heimat habe er im Vergleich eine ähnliche Summe zum Leben gehabt. „Aber ich liebe die Herausforderung“, lacht Ahmed Lokkayev. Bei Strabag Rail ist der Wunsch groß, dass er „uns lange erhalten bleibt“.
INFO – Was Firmen beachten müssen, die Mitarbeitende aus Drittstaaten beschäftigen möchten:
- Der Weg in den deutschen Arbeitsmarkt ist nicht ganz einfach. Wer Mitarbeitende aus Drittstaaten beschäftigen möchte, muss einige Hürden nehmen. Zuständig ist dabei die Agentur für Arbeit sowie die Ausländerbehörde.
- Im Main-Tauber-Kreis gibt es drei Ausländerbehörden: die Ausländerämter der beiden Großen Kreisstädte Wertheim und Bad Mergentheim, jeweils zuständig für das Stadtgebiet, und das Sachgebiet Ausländerwesen im Rechts- und Ordnungsamt des Landratsamtes, zuständig für alle anderen Gemeinden des Landkreises, teilt das Landratsamt mit.
- Das jeweilige Ausländeramt ist unter anderem zuständig für alle Ersterteilungen und Verlängerungen von Aufenthaltstiteln der in seinem Zuständigkeitsbereich lebenden ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger.
- Bei allen beabsichtigten Neueinreisen aus dem Nicht-EU-Ausland, die zu dauerhaftem Aufenthalt in Deutschland führen, wie zum Beispiel der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, muss jeweils ein spezifisches Visum über die zuständige deutsche Auslandsvertretung beantragt werden. Je nach Qualifikationsniveau gibt es verschiedene Arten von Visa zur Arbeitsaufnahme und Sonderregelungen für bestimmte Berufsgruppen. Nach der Einreise muss die ausländische Person den Aufenthaltstitel bei der Ausländerbehörde beantragen, bevor ihr Visum abläuft.
- Bei der Einstellung einer Fachkraft aus Drittstaaten muss die Bundesagentur für Arbeit in der Regel zustimmen. Eine Zustimmung wird erteilt, wenn die Prüfung der Arbeitsbedingungen, insbesondere Arbeitsentgelt und Arbeitszeit, positiv ist und die Beschäftigung der Qualifikation der Fachkraft entspricht, heißt es aus der Arbeitsagentur.
- Für die Aufnahme der Beschäftigung ist in der Regel eine Anerkennung oder die Gleichwertigkeitsprüfung des Abschlusses zwingend notwendig.
- Ausführliche Informationen zu Aufenthalt und Visum gibt es bei der Arbeitsagentur im Leitfaden „Möglichkeiten der Fachkräfteeinwanderung – Was Arbeitgeber wissen müssen“ sowie auf der Internetseite www.make-it-in-germany.com des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz.